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Sieben surrealistischen Minuten

Das Auge sah nur die hohe Zypresse und die Dichte der Bäume, die zum Himmel gewachsen waren und das Grüne auf das Himmelblau gegossen hatten. Ihre Äste waren ineinander verflochten und es war nicht klar, welcher Ast zum welchem Baum zugehörte. Die Stammbäume waren so dick, dass man die Hände nicht darum schließen oder ihre beiden Seiten festhalten konnte.

Vielleicht sollte ich diese Reise nicht billigen. Es gab aber keine Wahl. Es war so, als hätten die anderen für mich entschieden. Die anderen, die mich auf der Reise begleiten sollten mich aber von Anfang an, im Stich gelassen haben.

Es war ein üppiger Wald und ich kannte den Weg nicht. Ich sah sogar die Erde unter meinen Füßen nicht. Hätte ich meine Mitreisenden nicht verlassen, wäre ich vielleicht diesem Schicksal entkommen.

Ich sollte sieben Minuten schreiben. Die Zeit erschien lang. Was sollte ich schreiben? Man hörte die Geräusche der Stifte auf den Blättern. Ich wollte die anderen nicht ansehen. Wenn ich ihnen vielleicht nur einen kleinen Blick  zugeworfen hätte, hätte ich mein Kinn auf die Hände gelehnt und geguckt und nur geguckt. Ich war für dieses Experiment. Ich wollte ihm bis zum Schluss folgen. Vielleicht nur aus Neugier oder Selbsterfahrung. Ich wusste, dass ich lese. Ich wollte es lesen und weil ich lesen wollte, wusste ich nicht, was ich schreiben sollte. Vielleicht habe ich mit dieser Vorstellung den Stift auf das Blatt gekratzt, um den freien Ansturm des Gedankens nicht zu schreiben. Die Gedanken kommen und gehen, aber das Niederschreiben ist ein Nachweis, wie ein farbiger Punkt, der in deinem Leben blinzt und dich daran erinnert, dass sie irgendwann mit deinen Händen auf ein Blatt Papier festgesetzt und nicht wie die anderen kleinen und großen Gedanken im finsteren Seelenraum verschwunden sind.

Verlassenheit eroberte mich. Dieses Gefühl brachte einen hundertjährigen Abstand zwischen mir und der Person neben mir. Wo war ich und was verband mich mit den Anderen? Nichts, nichts und nichts. Oh weh, keine Begrüßung.

Ich war in den undurchlässigen Ästen eingeklemmt. Wie war ich in dieses Dilemma gekommen? Es war die Flucht. Der Moment des Fliehens, um mich an einem sicheren Ort zu verstecken.

Ich machte mich von den Ästen frei, aber erst sah ich die Dichte der Bäume und die Erde, die von meinen Füßen sehr entfernt war.

Mir war kalt und der Sturm der Gedanken und Gefühle ließ mich nicht ein Paar Sätze oder Wörter schreiben, und gleichzeitig daran denken, ob ich den richtigen Artikel für jedes Wort gebraucht habe. Die Zeit war langsam um und ich kämpfte immer noch, in der Sprache zu schreiben, deren Regeln ich mehr verstand als sie zu fühlen. Ich musste während des Experiments, das kein Komma und Punkt braucht, auf die Sprachregeln achten.

Wir waren vierzig oder fünfzig. Die jenige, die entschieden haben, in diesen sieben Minuten nur die Gedanken zu schreiben, die ihnen in dem Moment in den „Geist“ kommen. Was aber wäre passiert, wenn ich geschrieben und danach gelesen hätte, warum mir kalt wäre?  „Das ist der beste Weg, uns kennen zu lernen.“ sagte die Dozentin mit ihrem netten runzeligen Gesicht. Die Kälte zog in meine Schultern und den ganzen Körper. Nein, wenn ich gelesen hätte, was ich schreiben sollte, wären keine Bekanntschaft und Intensität, wären nur Distanz und Abgrund mit jedem Wort, das im Schnellschreiben und mit der Gedankengeschwindigkeit die gesellschaftlichen und grammatischen Regeln hinter sich gelassen und in der Sprache und der Zeit sich verloren hätte, größer und tiefer geworden.

Mit letzter Kraft habe ich einen schwachen Ast festgehalten und mit meiner anderen Hand suchte ich nach einem dicken Ast. Es gab keinen Ast mehr. Es waren nur die hohe Stammbäume, in denen sich die Erde und der Himmel vereinigten. Die dicken Stammbäume, um die man nicht die Hände herum fesseln, nach unten rutschen und auf die Erde um Asyl bitten konnte.

Nein, die Gefühle in diesen Minuten waren nicht zu schreiben, aber man konnte auch nicht den Stift beiseite legen. Ich wollte schreiben, deswegen sollte ich mir eine Stimmung einbilden oder in eine Reminiszenz oder einen Traum verfallen, der nichts mit unserem Experiment zu tun hatte.

Die Zeit war kurz. Es war als hätte ich diesen Tag vor vielen Jahren geträumt. Mein Körper zitterte vor der Kälte. Die nebelhaft verborgenen Bilder wurden wieder lebendig und ließen sich schwarz auf das Blatt nieder. Meine Füße schwangen zwischen Himmel und Erde, in der Dichte der Bäume. Meine Hand glitt auf einen Stamm ohne Äste und machte ein Geräusch, dem das Zerbrechen des einen schwachen Astes ähnelte, dass sich von einem schweren Gewicht befreite.

Die Zeit war kürzer als ich dachte. Die sieben Minuten waren um.